Freitag, 15. November 2013

Der Straßenkehrer Tobias Kern

ist ein Musterbeispiel für einen klassischen Märchenträger. Als Analphabet konnte er zwar nicht Lesen und Schreiben, dafür wußte er eine Fülle von Märchen, Sagen und Schwänken zu erzählen.
Und die erzählte er in Mundart, genauer in heanzischer Mundart. Die wurde und wird noch im Burgenland und in der Gegend um Ödenburg, dem heutigen Sopron, gesprochen.
Gott sei Dank entdeckte um 1900 der Volkskundler Johann Reinhard Bünker diesen wandelnden Märchenschatz. Er lud Tobias Kern in sein Haus. Da saß er nun, der alte Straßenkehrer, und erzählte dem Gstudierten Herrn all seine Geschichten, während der sich bemühte sie Wort für Wort mit der Feder flott auf Papier zu bringen. Um 1906 erschien die Sammlung »Schwänke, Sagen und Märchen in heanzischer Mundart«. Leicht zu lesen sind die 113 darin zusammengefassten Erzählungen nicht. Dafür sorgt die - alte - Mundart mit ihren vielen Sonderzeichen.
Wesentlich leichter lesbar ist die Sammlung »Was mir der alte Mann erzählte - Märchen aus dem Burgenland«. Die erschien 1926 und ist antiquarisch noch zu bekommen.
Am 14. November 2013 - genau 99 Jahre und einen Tag noch dem Tod von Johann Reinhard Bünker - fand in Sopron ein Festakt zur Würdigung dieser Sammlertätigkeit und von Tobias Kern statt. Von Ildiko Hajdu und mir wurden Märchen der Sammlung zweisprachig ungarisch~deutsch erzählt. DER ungarische Märchenerzähler András Berecz hielt die Laudatio. An einem Ehrenplatz im Zentrum von Sopron wurde gemeinsam für Tobias Kern eine Kerze entzündet. Mehr dazu unter www.facebook.com/maerchenerzaehler.at