Freitag, 17. Januar 2014

Von Moschud, dem Mann mit dem unerklärlichen Leben ...

Das ist eine der Geschichten, die mich seit Jahren begeistern:
Vor langer, langer Zeit, war‘s gestern oder war‘s heut, da hat einmal weit im Osten ein Mann gelebt. Der hat Moschud geheissen. Der Moschud ist ein einfacher Beamter gewesen. Tag für Tag hat er mit Massen und Gewichten zu tun gehabt. 
Seine alltägliche Arbeit war das Eine. Das andere war, daß er ein Mensch war, der einen spirituellen Weg gegangen es. Ein Sufi ist er gewesen. Ein Mensch, der sich bemüht hat durch die Schleier des Alltags die Wirklichkeit Gottes wahrzunehmen.
In seinem Leben ist er deshalb immer seiner inneren Stimme gefolgt. So war er zufrieden mit sich, mit dem, was er getan hat, und mit seinem Leben. 
Einmal ist ihm im Traum Kidhr, der geheimnisvolle innere Führer aller Sufis, erschienen. »Verheißungsvoller Mensch« hat der zu ihm gesagt, »geh morgen auf die Brücke unten am Fluß und spring von der Mitte der Brücke ins Wasser.« 
In der Früh ist dem Moschud der Traum immer noch durch den Kopf gegangen. Ohne lange zu Überlegen hat er seine Stellung gekündigt und ist hinuntergegangen auf die Brücke über dem Fluß. Von der Mitte der Brücke ist er ins Wasser gesprungen. 
Aber leider hat der Moschud nicht so recht schwimmen können. So hat er mit den Händen und den Füßen um sich geschlagen und, so gut es halt gegangen ist, versucht nicht unterzugehen und über Wasser zu bleiben. 
In seiner Not hat ihn ein Fischer gesehen. Der hat ihm die Hand hingehalten und gesagt: »Bist du verrückt oder willst du dich umbringen!? Warum springst du ins Wasser, wenn du nicht schwimmen kannst?« - »Ich weiß es nicht.« hat der Moschud gesagt. Der Fischer aber hat ihm ins Boot geholfen und ihn als Gehilfen aufgenommen. So hat der Moschud vom Fischer das Fischerhandwerk gelernt. Er wiederum hat dem Fischer lesen und schreiben beigebracht. 

Ein Jahr ist vergangen. Da ist dem Moschud im Traum wiederum Kidhr in seinem leuchtend grünen Gewand erschienen. »Verheißungsvoller Mensch« hat er zu Moschud gesagt, »steh auf und geh auf der und der Straße in die und die Richtung.» 
Auf der Stelle ist der Moschud aufgestanden, hat sich angezogen und auf dem Weg gemacht. Lange ist er maschiert. Bei Sonnenaufgang ist ihm ein Bauer begegnet. »Auch schon auf, guter Mann« hat der zu ihm gesagt, »Wohin geht es denn so früh?« - »Ich weiß es nicht.« hat der Moschud gesagt. - »Dann komm mit mir.« hat der Bauer gesagt, »Ich bin auf dem Weg zum Markt. Da kann ich einen, der mir hilft, gut brauchen.» 
So ist der Moschud mit dem Bauern mitgegangen. Als Knecht hat er jetzt für ihn gearbeitet. Ein ganzes Jahr, und auch noch ein zweites Jahr. 
Einmal in der Nacht aber, ist ihm im Traum wieder der Kidhr erschienen. »Verheißungsvoller Mensch« hat der zu ihm gesagt, »Mach dich auf! Nimm das Geld, das du verdient hast, und geh in die und die Stadt. Versuch dein Glück dort als Händler.« Auf der Stelle hat sich der Moschud wieder auf den Weg gemacht.

Der Weg in die fremde Stadt ist weit gewesen. Aber schließlich ist der Moschud gut hingekommen und hat angefangen als Händler zu arbeiten. Dabei hat sich schnell herausgestellt, daß er für sein Geschäft eine glückliche Hand gehabt hat. So ist sein Wohlstand schnell gewachsen. Ein Jahr ist vergangen, ein zweites, ein drittes. Aus dem Moschud ist ein reicher Kaufherr geworden. 
Da erscheint ihm im Traum wieder einmal der Kidhr. »Verheißungsvoller Mensch« hat er zu ihm gesagt, »laß alles hinter dir und mach dich auf nach Samarkant. Dort fragst du in der und der Apotheke nach Arbeit.«

Noch in derselben Nacht ist der Moschud aufgebrochen und auf seinem Esel nach Samarkant geritten. Weit ist der Weg gewesen. Aber schließlich ist der Moschud glücklich angekommen und hat in der Apotheke nach Arbeit gefragt. »Ja«, haben die Leute dort gesagt, »wir können einen Mann brauchen, der die Pulver und Salben mischt, der sie anrührt und zubereitet.« So hat der Moschud jetzt in der Apotheke gearbeitet, hat Körner zerstoßen, Wurzeln angesetzt für Tinkturen und Salben gekocht.
Aber, oh Wunder! Die Medizin, die er zubereitet hat, ist ganz besonders heilkräftig gewesen. Bald hat es sich herumgesprochen, daß in der Apotheke wahre Wundermittel zu bekommen sind. So sind die Leute auf den Moschud aufmerksam geworden. Sie haben ihn gefragt: »Jetzt sag einmal, wie machst du es, daß die Medizinen die du zubereitest, so heilkräftig sind?« - »Ich weiß es nicht.« hat der Moschud gesagt. Aber die Leute haben das nicht glauben können. 
»Bestimmt hast du bei großen Meistern die Heilkunde studiert. Sag uns, wer hat dich unterrichtet?« - »Ich weiß es nicht.« 
Da sind die Leute nur umso neugieriger geworden. »Erklär‘ uns doch, wie du zu diesem gewaltigen Wissen gekommen bist?« - »Ich weiß es nicht.« hat der Moschud wieder gesagt. 
Je weniger er gesagt hat, desto mehr ist er in der Achtung der Leute gestiegen. Immer wieder haben sie ihn bedrängt und nach den wundersamen Quellen seiner Erkenntnisse gefragt. Und immer wieder hat er ihnen zur Antwort gegeben: »Ich weiß es nicht.«

Die Leute haben sich schließlich selber ihren Reim darauf gemacht. Sie haben ihre eigene Geschichte erfunden von Moschud, dem Mann mit dem geheimnisvollen Leben und den unerklärbaren Fähigkeiten. Und natürlich hat diese Geschichte nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun.

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